Die Katzengeschichte für den Oktober:

Sahara

Teil 2

Während Mike sich zu den Ställen begab, um endlich mit der Morgenfütterung zu beginnen, führte Tina Dr. Stein in ihr Arbeitszimmer, in dem ein großer Schreibtisch schon öfter als provisorischer Behandlungstisch hatte herhalten müssen. Tina hatte bereits ihren Verdacht, dass es sich bei dem kleinen Patienten um ein Falbkätzchen handeln könne, geäußert und Dr. Stein bestätigte ihn...

 Eingehend untersuchte er nun die verletzte Pfote. „Das sieht ziemlich böse aus," war nach einigen Minuten die erschreckende Nachricht. „Sieht aus, als wäre sie mit der Pfote in einen Maschendrahtzaun oder etwas Vergleichbares geraten und als sie die Pfote wieder herausziehen wollte, hat sie sich verkeilt. Es sind einige Sehnen angerissen, wenn nicht gar durchtrennt. Ich werde das Bein fest verbinden und ihr ein schmerzstillendes Mittel geben. Mehr können wir im Moment nicht tun, außer hoffen, dass es von alleine wieder heilt!" „Aber lebensbedrohlich ist es doch nicht, oder?", fragte Tina erschreckt. „Nein, nein," beruhigte sie Dr. Stein, „es kann allerdings sein, dass sie ein Leben lang hinken wird, das lässt sich aber erst feststellen, wenn die äußere Wunde verheilt ist und die Muskeln und Sehnen Zeit hatten, wieder zusammenzuwachsen." „Da bin ich aber erleichtert. Und wenn sie nicht ausgewildert werden kann, wegen eines potenziellen Hinkens, ist das auch nicht schlimm. Sie wird hier immer ein Zuhause haben."

Der Tierarzt lächelte ihr warm zu, schätzte er doch das Engagement, dass Tina jedem Tier entgegenbrachte hoch und war froh, dass es noch Menschen gab, für die Tiere mehr als nur Nutzvieh oder Luxus waren. „Ich gebe der Kleinen jetzt die Spritze. Sie wird danach für einige Stunden schlafen. Danach sollten Sie ihr spezielles Futter für Jungtiere anbieten und mit etwas Glück wird sie das sogar heute schon fressen", erläuterte Dr. Stein. „Morgen," fuhr er fort," kommen Sie dann in meine Praxis. Da wechseln wir den Verband und machen eine allgemeine Untersuchung. Haben Sie denn schon einen Namen für das Katzenmädchen? Dann kann Frau Jakobi gleich eine Akte für unsere ungewöhnliche kleine Patientin anlegen." „Sahara", antwortete Tina spontan. „Falbkatzen leben zwar überall in Afrika außer in den Wüstenregionen, aber irgendwie passt der Name zu ihr." Als würde es den Namen akzeptieren, gähnte das Kätzchen herzhaft, wobei es seine kleine rosa Zunge zeigte und sah Tina noch einmal kurz an, bevor es sich zusammenrollte und in tiefen Schlummer versank.

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Als Tina den Tierarzt verabschiedet hatte, schlenderte sie hinüber zu den Ställen um nachzusehen, ob Mike schon fertig war oder vielleicht Hilfe bräuchte. Währenddessen dachte sie an den Grobian, der Sahara verletzt vor ihrer Tür abgelegt hatte. Das Geräusch des sich entfernenden Autos hatte sich ähnlich angehört wie Dr. Steins Auto. „Es muss also ein größeres Auto gewesen sein", überlegte sie, denn dieser fuhr einen schweren alten Mercedes Benz. So in Gedanken kam sie am Stall an, wo sie feststellte, dass Mike bereits einen großen Teil der morgendlichen Arbeit erledigt hatte. „Ich mach dann mal meine Eier-Tour", teilte Tina ihm mit und machte sich auf zur Vorratskammer. Sie lud die gefüllten Eierkartons in ihren Fahrradkorb, ergänzte den Vorrat noch schnell um die in der Nacht gelegten Eier und bestieg ihr Rad in Richtung Dorf.

Ihre ‚Eier-Tour’ führte sie zweimal die Woche ins Dorf, wo ihre Abnehmer meist bereits auf die frischen Bio-Produkte warteten. Tina pflegte einen zwanglosen Umgang mit ihren Kunden, klingelte einfach an den jeweiligen Türen und tauschte ihre Eier gegen frisches Gartengemüse, Tierfutter und ganz selten auch gegen Bargeld ein. Auf diese Weise hatte sie schnell Anschluss im Dorf gefunden, kannte die Leute und die Leute kannten sie. Dies wiederum bewirkte, dass ihr - eingebunden in den ‚Mikrokosmos Dorf’ - auch der abenteuerlichste Klatsch zu Ohren kam.

Auf dem Weg hatte Tina beschlossen, sich genau diese Eigenschaft einiger Dorfbewohner ausnahmsweise einmal zu Nutzen zu machen und fuhr anstatt ihrer üblichen Runde in einem weiten Bogen um das Dorf herum, so dass sie ihre Verkaufstour am entgegengesetzten Ende bei Frau Tietjen beginnen konnte. Als diese ihr zehn Eier abgenommen hatte und zu ihrem üblichen Klönschnack ansetzte, lenkte Tina das Gespräch geschickt auf den morgendlichen Vorfall auf ihrem Hof. „Jo, dat kann doch nur de’ Neue gewesen sein. So’n schnieker Geschäftsmann vonne Stadt wech is’ dat. De’ wohnt da anne Ostsiet, wo se den ollen Hof vons Schulze schon seit Jahr und Tach hübsch moken!" Tina war begeistert, dass sie bereits beim ersten Kontakt derart viele Informationen erhalten hatte, verabschiedete sich recht bald von Frau Tietjen und beschloss dem ‚Geschäftsmann vonne Stadt wech’ einen Besuch abzustatten.

Sie hatte zwar aus der Ferne die Renovierungsarbeiten am alten Schulze-Hof gelegentlich beobachtet, war jedoch nie wirklich in die Nähe des Grundstücks gekommen. Trotzdem fand sie die Einfahrt ohne Probleme und stellte wenig später ihr Fahrrad vor der liebevoll wiederhergerichteten Dielentür ab. Dabei fiel ihr ein neuer, riesiger BMW auf, der in der früheren Scheune, jetzt wohl eine Garage, geparkt war. „Das könnte passen", dachte Tina grimmig, marschierte mit festem Schritt auf die Tür zu und betätigte den altmodischen Klopfer.

Zuerst hatte sie die Vermutung, dass niemand zu Hause sein könne und wollte gerade durch eines der Fenster luken, als sich die Tür öffnete und ein großer, alles andere als unattraktiver Mann in Jeans und T-Shirt auf der Schwelle erschien. Tina ärgerte sich, dass sie noch das Shirt, in dem sie geschlafen hatte, trug, verdrängte den Gedanken jedoch schnell wieder und besann sich auf ihre eigentliche Mission. Ohne sich vorzustellen schleuderte sie ihm ihre Frage entgegen: „Haben sie heute Morgen ein Kätzchen, genauer gesagt eine kleine Falbkatze, bei mir vor der Tür abgestellt?" Der Mann wurde blass. "Ja, das habe ich", gab er kleinlaut zu, „aber wollen sie nicht erst mal hereinkommen?" „Das Haus eines Tierquälers betrete ich nicht!", blaffte Tina ihn an. „Um Himmels willen, nein, ich quäle doch keine Tiere!" Der Mann blickte so entsetzt drein, dass Tina vor sich selbst zugeben musste, dass er entweder ein verdammt guter Schauspieler sein müsste oder aber die Wahrheit sagte.

Sie folgte ihm durch die Tür und das Haus auf eine große Terrasse, auf der gemütliche Rattanmöbel zum Hinsetzen einluden. Nachdem sie dort Platz genommen hatten, erfuhr Tina, dass der Fremde Axel Peters hieß, 41 Jahre alt war und die Leitung seines Familienunternehmens gerade seiner Schwester übertragen hatte. Diese hatte sich immer darum gerissen, sein Vater hatte jedoch ihn als seinen Nachfolger bestimmt. Als dieser jedoch vor einem halben Jahr gestorben war, hatte Axel sich so schnell wie möglich aus dem Geschäft zurückgezogen und war nun endlich auf dem Land angekommen, wo er sich der Malerei widmen wollte.

„Das Kätzchen", erklärte er, „war ein Geschenk eines Geschäftspartners. Der war mir noch nie sonderlich geheuer und als er dann die Kleine anschleppte, wusste ich nicht was ich damit machen sollte. Ich wusste zwar, dass sie zu den gefährdeten Arten gehört und der Handel mit ihnen stark eingeschränkt ist – ich will gar nicht wissen, wo der gute Mann sie herhat -, aber ich wollte sie auf keinen Fall in dessen Händen lassen. Also habe ich sie hierher mitgebracht. Ich habe mich wirklich bemüht, den Garten falbkatzengerecht zu umzäunen und wenn sie nur ein wenig älter wäre, hätte der Zaun ihr nichts anhaben können..."

Tina hatte schweigend zugehört. Die Geschichte klang glaubhaft in ihren Ohren, trotzdem war ihre Frage noch nicht beantwortet. „Und warum haben sie die verletzte Kleine zu mir gebracht anstatt zum Tierarzt?", fragte sie deshalb, nun allerdings schon etwas sanfter als zuvor. „Ich glaube, das war eine Kurzschlussreaktion. Ich hörte sie kläglich schreien, rannte zu ihr hin und befreite die verletzte Pfote. Soweit war das wohl alles noch ganz richtig. Aber dann überkam mich die Angst, was wohl ein Tierarzt sagen würde, wenn ich ihm ein verletztes Tier, dessen Gattung von höchster Stelle aus geschützt wird, vorbeibringe." Er machte eine längere Pause. „Und dann sind sie mir eingefallen. Ich hatte über ihr Projekt in der Zeitung gelesen und wusste, dass bei ihnen jedem Tier geholfen wird..." „Trotzdem war es unverantwortlich von ihnen! Stellen sie sich vor, ich wäre nicht da gewesen. Die Kleine hätte verbluten oder verhungern können!", schimpfte Tina. „Ich weiß. Und ich weiß auch, dass ich einen großen Fehler gemacht habe, der mir nie wieder unterlaufen wird," beteuerte Axel und man konnte ihm anmerken, dass es ihm ernst war. „So schnell kann er das auch nicht, denn Sahara bleibt vorerst bei mir, zumindest bis die äußere Wunde verheilt ist." Tina war unterdessen aufgestanden und war bereits an der Haustür angelangt. „Sahara ist ein schöner Name. Ich hatte mich noch zu keinem entschließen können, wie gut, dass sie das übernommen haben", sagte Axel leise und fuhr sich durch die Haare.

Tina blickte zu ihm auf und stellte überrascht fest, dass seine Haare nun ebenso wirr von seinem Kopf abstanden wie Mikes heute morgen, nur dass diese hier schwarz anstatt hellbraun waren.. Das und die Tatsache, dass sich auf Axels Gesicht echtes Bedauern abzeichnete, stimmten Tina versöhnlich. „Sie können Sahara ja mal besuchen kommen!" ‚Und mich auch’, fügte sie in Gedanken hinzu, denn Axel gefiel ihr immer besser.

„Gerne", antwortete dieser erleichtert und beschloss, den Besuch schon am nächsten Vormittag stattfinden zu lassen. Nicht nur um den Zustand Saharas zu begutachten, sondern auch um festzustellen, ob deren hübsche junge Pflegerin zwischen ihren Tieren genauso strahlend auf ihn wirkte wie hier auf seinem eigenen Hof.

                                                                                                                        copyright: Britta Martens 2006

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