Der Katzen Krimi für den April

Vernehmungen

Teil 1

 

Martin folgte mit genervtem Blick dem vor ihm auf- und abschreitenden Kommissar. Dieser tigerte schon seit geraumer Zeit in dem kleinen Verhörraum auf und ab, die Hände auf dem Rücken, den Bierbauch vorgestreckt, das mächtige Doppelkinn auf der Brust ruhend. Hin und wieder wackelte es, wenn der Kommissar nach minutenlangem Schweigen eine Frage wie einen Torpedo abschoss. Martin zuckte jedes Mal zusammen. Er fragte sich, ob dies als Schuldbewusstsein bewertet wurde. Er war sich keiner Schuld bewusst.

„Also, junger Mann, wann haben Sie Ihre Tante das letzte Mal besucht?"

„Letzten Donnerstag, wie oft soll ich das noch wiederholen?"

„So lange, bis ich Ihnen glaube!" fauchte der Kommissar.

Martin seufzte.

„Ich habe Ihnen schon alles gesagt! Ich habe Tante Ingrid nichts angetan, ich mochte sie und hatte keinerlei Grund, sie umzubringen!"

„Ich, ich, ich," äffte der Kommissar ihn nach. Er trat ans Fenster und warf einen Blick nach unten, dann sagte er: „Die Nachbarin hat Sie aber gestern abend aus dem Haus kommen sehen."

„Frau Linkes Sehqualitäten entsprechen denen eines Maulwurfs."

„Nun werden Sie mal nicht unverschämt!" Der Kommissar drehte sich abrupt zu ihm um und rückte sein goldenes Kassengestell auf der Nase zurecht. Er warf ihm einen missbilligenden Blick über die Brillengläser hinweg zu.

Martin seufzte erneut.

„Ich war vergangenen Donnerstag das letzte Mal bei meiner Tante."

„Und was haben Sie da gemacht?"

„Ihr die Einkäufe hochgebracht und bei der Wäsche geholfen. Ich weiß nicht, wie oft ich Ihnen das schon erklärt habe."

„Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, Sie haben die Gunst der Stunde genutzt, dass Ihre Tante völlig überrascht von Ihrem Besuch zu ungeahnter Zeit war und ihr bei der Gelegenheit gleich ein paar Tropfen Digitalis zuviel verabreicht."

„Das ist Nonsens! Ich habe Tante Ingrid sehr gemocht, niemals hätte ich ihr ein Härchen gekrümmt!"

„Leider sprechen die Fakten gegen Sie, junger Mann!" blaffte der Kommissar ihn an.

„Fakten? Welche Fakten?" Martin erhob nun auch die Stimme.

„Ist es richtig, dass Sie PTA sind?"

„Ja, schon...."

„Aha, Sie kennen sich also bestens mit Medikamenten aus. Sie wissen ganz genau, wie hoch die Dosis Digitalis war, die Ihre Tante einnehmen musste und Sie wissen ganz genau, ab wann eine Überdosis vorliegt. Wonach sollte es denn aussehen? Nach Suizid? Oder doch eher versehentliche Überdosis, verursacht durch Demenz?"

Martin sprang vom Stuhl auf.

„Was fällt Ihnen ein! Wie können Sie es wagen-„

„Hinsetzen!" fuhr ihn der Kommissar barsch an. „Ich führe hier das Verhör!"

Martin sank zurück auf den harten Vernehmungsstuhl. Hilfesuchend blickte er zur Decke, aber dort flimmerten nur drei häßliche Leuchtstoffröhren vor sich hin.

„So, weiter in den Fakten," fuhr der Kommissar fort. „Ist es richtig, dass Sie noch am Abstottern der Hypothek für Ihr hübsches Eigenheim in Kronberg sind?"

Martin nickte.

„Tja, der Taunus ist zwar schön, aber ein teures Eckchen Hessens, nicht wahr?"

Martin begnügte sich damit, resigniert seine neuen Joggingschuhe zu betrachten.

„Das flotte Sport-Coupé verschlingt immense Steuern und Versicherungssummen und nun haben Sie sich auch noch ein richtig schweres Motorrad zugelegt. Das alles muss ja irgendwie finanziert werden, nicht wahr?"

Martin blickte den Kommissar trotzig an: „Keine Sorge, ich komme finanziell klar, ich habe es nicht nötig, dafür meine Tante umzubringen."

„Woher wussten Sie überhaupt von dem Testament? Bischen rumgeschnüffelt, bei Tantchen, wie?" Der Kommissar stützte sich mit den Vorderarmen auf dem wackligen Resopaltisch ab und Martin konnte sein dickes rotes Gesicht in jeder Einzelheit betrachten.

„Was für ein Testament?" fragte er nun.

„Das Testament, dass Sie und Ihren Bruder als alleinige Erben einsetzt."

„Mich und meinen Bruder?"

„Ja."

„Manuel?"

„Ihr Bruder, ja, Manuel Kortmann."

Ich weiß von keinem Testament" erklärte Martin.

„Natürlich nicht! Dann dachten Sie sich eben, die Alte würde schon nur Sie und/oder Ihren Bruder einsetzen, weil ja auch sonst keine Verwandten mehr vorhanden sind!"

„Zum Teufel noch mal! Ich weiß nichts von einem Testament und – zum 173. Mal: Ich habe Tante Ingrid nicht ermordet!!!" schrie Martin. Mit seiner Selbstbeherrschung war es vorbei.

Der Kommissar sah es, drehte sich zufrieden grinsend um und nickte leicht mit dem Kopf zu dem Fenster, hinter welchem - für die Insassen des Verhörzimmers unsichtbar - seine Kollegin Christina saß und das Verhör verfolgte.

Die Tür öffnete sich und Martin sah eine junge Kriminalbeamtin in Turnschuhen, mit sportiver Bekleidung und saloppem Pferdeschwanz den Raum betreten.

Die beiden Kriminalbeamten wechselten für Martin unhörbar einige Worte, auf dem Gesicht des Kommissars drückte sich Erstaunen aus und er sagte zu Martin:

„Sie müssen nun mit meiner Kollegin vorlieb nehmen, ich habe noch andere Pflichten." Er verließ den Raum.

Die Polizistin zog sich den zweiten Stuhl heran und setzte sich Martin gegenüber an den Tisch.

„Also, Herr Kortmann, wo war mein Kollege denn stehen geblieben?"

„Er ist der Auffassung, ich hätte meine Tante ermordet," gab Martin müde zurück.

„Und, haben Sie?"

„Nein!"

„Sehen Sie, ich kann mir das bei Ihnen auch gar nicht vorstellen, aber es gibt Situationen im Leben eines Jeden, da ist man einfach überfordert, alles wächst einem über den Kopf...."

Martin blickte die Beamtin irritiert an. Wieso quasselte die soviel?

„Wollen Sie mir nicht davon erzählen?" schloss sie nun ihren Redeschwall.

„Wovon?"

„Von Ihrem beruflichen Alltag, von Ihrer Beziehung zu Ihrer Tante, von dem letzten Abend, an dem Sie dort waren?"

Sie sprach ruhig und sachlich und blickte ihn aus freundlichen blauen Augen an.

Ach ja, das wurde hier gespielt. Martin hatte es unzählige Male in Fernsehkrimis gesehen und hätte nie für möglich gehalten, dass das „Guter Bulle / böser Bulle-Spiel" tatsächlich eingesetzt wurde.

 

+++

 

Einige Zimmer weiter saß ein Mann auf einem Stuhl. Er trug, wie der andere Verdächtige auch, ein weißes Oberhemd mit einem Jacket drüber. Im Gegensatz zu dem des anderen Verdächtigen war sein graues Jacket allerdings schon etwas fadenscheinig und die Schuhe an seinen Füßen waren billige Budapester-Imitate.

Überhaupt sah er dem anderen Verdächtigen auffallend ähnlich, wenn man mal von der Frisur absah. Martin hatte dunkelbraunes, lockiges Haar, das ihm fast bis auf die Schultern fiel, der Mann hier in dem Zimmer trug einen militärisch kurzen Bürstenhaarschnitt. Der Kommissar trat näher und der Mann blickte auf.

„Diesselben auffallend grünen Augen," dachte der Kommissar. „Über einen Mangel an Freundinnen konnten sich die Beiden bestimmt nie beklagen."

„Sie sind Manuel Kortmann?" fragte der Kommissar barsch.

„Ja."

„Was machen Sie beruflich?"

„Ich bin freier Journalist."

„Aha, kann man von so was leben?" fragte der Kommissar skeptisch.

Manuel lachte leise. „Mal mehr, mal weniger."

„Sie haben finanzielle Schwierigkeiten?" hakte der Kriminalbeamte gleich nach.

„Nein, ich komme gut zurecht." wehrte der Gefragte betont lässig ab.

„Sie wohnen in Hamburg?"

„Ja."

„Wann waren Sie zuletzt hier in Hessen?"

„Puh, da muss ich überlegen, das liegt schon Jahre zurück." Manuel überlegte angestrengt. „Ich bin nach dem Abi gleich weg, mich zog es immer hoch in den Norden."

„Also, waren Sie seitdem nicht mehr hier? Haben Sie nicht mal Verwandtenbesuche gemacht?"

„Verwandten, welche Verwandten? Gibt doch keine mehr. Die Familie Kortmann ist vom Aussterben bedroht." es klang sarkastisch.

„Sie haben einen Bruder, der -"

„Pah, Martin, die Flasche, hören Sie mir mit dem auf!"

„Sie mögen sich wohl nicht?"

„Pf."

Manuel sah sich um und griff nach seiner Hemdtasche, um ein Päckchen Zigaretten herauszuziehen. Der Kommissar winkte ab: „Rauchverbot."

„Shit."

„Also, sie haben überhaupt keinen Kontakt mehr zu Ihrem Bruder?"

„Nein."

„Was war der Grund Ihrer Entzweiung?"

„Martin hat sich immer für was Besseres gehalten. Ich habe einige Berufe ausprobiert und wieder fallengelassen, habe eine zeitlang in Saus und Braus gelebt und es mir gutgehen lassen und mit so was kommt der alte Junge nicht klar. Kann man nichts machen." Er zuckte mit den Schultern.

„Wann haben Sie das letzte Mal ihre Tante gesehen?"

„Welche Tante?"

„Ihre Tante Ingrid. Ingrid Wagenführ."

„Ach, die alte Schachtel. Ist die nicht inzwischen in einem Pflegeheim?"

„Nein, Ihr Bruder schaute regelmäßig nach ihr und inzwischen braucht sich niemand mehr Gedanken um ein Pflegeheim zu machen. Wie Sie wissen, wurde Ihre Tante tot von deren Putzfrau aufgefunden."

„Tja, ich kann dazu nichts sagen, ich war ja nicht hier."

„Hm." Der Kommissar betrachtete ihn forschend über seien Brillenrand hinweg.

„Wo waren Sie denn in den letzten 24 Stunden?"

„In Hamburg."

„Wo genau?"

„Bei meiner Freundin Sybille."

„Bitte geben Sie mir Namen, Anschrift und Telefonnummer der Dame."

Manuel notierte ihm das Gewünschte auf den Zettel, der ihm hingeschoben wurde.

„Wir müssen das natürlich überprüfen."

„Natürlich." Manuel zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Er wollte raus aus dem Zimmer, runter in die kleine gemütlich ausschauende Eckkneipe, ein Bierchen trinken und eine Zigarette rauchen.

 

+++

 

Eine halbe Stunde später trafen sich Kommissar Wagner und seine junge Kollegin auf dem Flur. Er berichtete ihr knapp von seiner Unterhaltung mit Manuel, sie ihm von ihrer Unterhaltung mit dessen Bruder.

„Auf wen tippen Sie?" fragte der Kommissar.

„Tja, alles spricht gegen Martin."

„Allerdings. Hübsche Kerle, die Beiden, was? Muss doch angenehm für eine Frau sein, solche Verdächtigen zu verhören?"

Christina verdrehte die Augen und wünschte sich ein weiteres Mal, ihr Vorgesetzter möchte seine männlichen Platitüden für sich behalten.

„Die beiden sind übrigens Zwillinge," erklärte sie nun ihrem Chef.

„Ach tatsächlich? Na ja, bis auf die Haare sehen sie sich auch sehr ähnlich. Aber mögen tun sie sich nicht." Er erzählte ihr kurz von den Bemerkungen, die Manuel von sich gegeben hatte.

„Wir sollten noch einmal die Zeugin Linke verhören," schlug Christina nun vor.

„Wozu? Ist das nicht Zeitverschwendung?"

„Ich denke nicht."

Der Kommissar zuckte mit den Schultern. "Tun Sie, was Sie nicht lassen können." Er blieb am Kaffeeautomaten stehen, um sich einen Cappuccino zu ziehen. Christina verabschiedete sich, und verschwand durch die Feuerschutztür ins Treppenhaus.

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