Die Katzengeschichte für den August:

Cyril und das Malheur

Cyril war ein stattlicher Kater und allseits beliebt in der vierbeinigen Damenwelt. Seine Nachkommenschaft war legendär – an Zahl und an Verwegenheit. Hörte man, dass eine Katze ein ganzes Steak beim Metzger geklaut hatte, so wussten alle: das war Cyrils Ältester. Munkelte man, dass die fürchterliche Mrs. Bratts, die nichts und niemanden mochte, ihr Herz an ein Kätzchen verloren hatte, so wussten alle, dass nur eine von Cyrils Töchtern dieses Wunder vollbringen konnte.

Cyril lebte mit seiner Menschenfamilie in einer ruhigen Reihenhaussiedlung in einem Vorort von London. Zur Ruhe trug entscheidend bei, dass seine Menschen so vernünftig waren, ihre Tochter Sally in ein Internat zu schicken. Und da waren sich Kater und Menschen einig: ein Kind im Teenageralter war um so liebenswerter, je weiter es weg war. Gut, die Bildung mochte auch eine Rolle spielen. Gerechterweise musste Cyril aber zugeben, dass Sally mittlerweile ganz erträglich war. Als sie nach den letzten Ferien wieder Richtung Schule abgereist war, hatten sowohl sie, als auch der Kater ein paar Abschiedstränen rausgerückt.

Aber Cyrils größte Schwäche waren seine weiblichen Artgenossen. Seine letzte Eroberung war eine wunderhübsche, zierliche, rassige Katzendame namens Eglantine. Sie war mit ihrer Menschenfamilie erst vor kurzem ins Nachbarhaus gezogen. Cyril brauchte nur einen Blick auf sie zu werfen – und es war um ihn geschehen. Normalerweise nahm er seine Liebschaften nicht wirklich ernst und seine Nachkommenschaft war zwar reichlich vorhanden, interessierte ihn aber nicht sonderlich. Aber Eglantine, ja Eglantine, das war etwas anderes. Vielleicht war es die Schwierigkeit, an sie heranzukommen. Ihre Menschen passten gut auf sie auf und ließen sie nie aus den Augen. Aber Cyril wäre nicht Cyril gewesen, wenn er es nicht doch irgendwann geschafft hätte, der Angebeteten näher zu kommen...

Der Vollmond warf sein Licht in den Garten, als Cyril mit gekonnter Pfote die Türe zu Nachbars Küche öffnete. Die Gewissheit, dass diese nicht abgeschlossen war, hatte er seiner Tochter Millie zu verdanken, die mal wieder entwischt war und, geblendet von Eglantines Schönheit, auf der Fensterbank Platz nahm und hörte, wie die Menschen im Haus miteinander sprachen. „Da sitzt eine Katze auf der Fensterbank! Pass bloß auf, dass Eglantine nicht entwischt. Die beiden drücken sich ja schon die Nasen an der Scheibe platt. Ich wünschte, du würdest die Küchentür abschließen. Irgendwann kriegen das bestimmt Einbrecher spitz." „Ach was, hier sperrt niemand seine Hintertür ab. Und eine Katze würde mit dem Türknauf nichts anzufangen wissen. Es wird nichts passieren, glaube mir!"

Aber Cyril wusste sehr wohl etwas mit einem Türknauf anzufangen.

Nun war Eglantine zwar wunderschön und hatte auf Shows schon viele Preise gesammelt, aber sie war nicht eitel, sondern freundlich und liebenswert. Auch ihr Herz war dahin geschmolzen und sie folgte dem prächtigen Kater gerne in den Garten, den sie bis jetzt nur von jenseits des Fensters kannte. Sie quiekte, als sie zum ersten Mal das Gras spürte, das sie an den Pfotenballen kitzelte. „Schsch, leise, sonst werden deine Menschen noch wach." „Ach, die schlafen tief und fest. Frauchen hat ein Schlafmittel genommen und Herrchen hatte zwei Whiskeys nach dem Abendessen."

So verbrachten sie diese und noch weitere vergnügliche Nächte zusammen. Gegen Morgen spazierte Eglantine wieder durch die Küchentür und drückte sie von innen sanft ins Schloss. Doch nach drei Wochen geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte: es wurde tatsächlich eingebrochen. Allerdings nicht nachts, sondern tagsüber, während der Nachbar bei der Arbeit war und seine Frau im Supermarkt. Von da an war die Hintertür zugesperrt und hatte sogar ein modernes Sicherheitsschloss bekommen. Daraufhin sah und hörte Cyril wochenlang nichts mehr von Eglantine.

Eines Morgens, er saß im Wohnzimmer am Fenster und starrte lustlos nach draußen, hielt ein Taxi vor dem Nachbarhaus. Eine junge Frau mit Koffer stieg aus, ging zur Haustür und klingelte. Cyril beobachte sie interessiert. Ihr wurde geöffnet und sie betrat das Haus. Kurze Zeit später verließen die Nachbarn mit drei Koffern das Haus, verstauten sie in ihrem Auto und fuhren die Auffahrt hinunter. „Ja, guck du nur Cyril, Moseleys fahren in den Urlaub und ihre Tochter passt so lange auf die Katze auf. Ob die auch so ein Snob wie ihre Eltern ist?" Cyrils Frauchen war hinter ihn ans Fenster getreten und spähte durch die Gardine.

Die Frage, ob Polly Moseley ein Snob war oder nicht, blieb unbeantwortet. Ihre Eltern waren keine zehn Minuten weg, da schleppte sie eine Liege in den Garten, setzte sich einen Strohhut auf und legte sich mit einem Buch in der Hand in die Sonne. Dort blieb sie liegen, bis es zu dunkel zum Lesen war. Und so machte sie es jeden Tag. Am vierten Tag, es begann bereits zu dämmern, sprang sie plötzlich auf und rannte ins Haus. Sie kümmerte sich nicht um die Küchentür, ließ sie offen stehen und folgte dem Telefonklingeln, das nun in den Garten hinausscholl. Kurze Zeit später huschten zwei Schatten in den Garten. Der eine, größere schritt zielstrebig Richtung Nachbargrundstück, der andere, kleinere blieb stehen und wollte wieder ins Haus zurück. Als der größere das bemerkte, schnellte er zurück, packte den kleinen und trug ihn mit sich fort.

Cyril aalte sich vor dem Hortensienbusch neben der Terasse und hing seinen Träumen nach, als etwas neben ihn ins Gras plumpste. Er öffnete die Augen und blickte in ein kleines, rosafarbenes Mäulchen, das ihn anfauchte. Er wollte gerade seine Krallen ausfahren, als ein energisches „Laß das!" ihn mitten in der Bewegung innehalten ließ. „Eglantine...was ist das?" „Du wolltest wohl sagen wer ist das." Der große Kater sah etwas ungläubig auf das Fellknäuel zu Eglantines Pfoten. „Darf ich vorstellen, Cyril, das ist dein Sohn." „Äh ja, nett, dich kennen zu lernen Kleiner." Bei sich dachte er, was nur einer? Ich lasse doch nicht etwa nach? Cyril rappelte sich auf und streckte sich. Vorsichtig fragte er: „Du konntest wohl nur einen mitbringen, oder?" „Es gibt nur den einen, zumindest was dich angeht." Sie hob eine Vorderpfote, leckte ein paar Mal halbherzig mit der Zunge darüber und ließ sie wieder sinken. „Es ist mir ja alles ganz peinlich und ich wusste auch nicht wie das geschehen konnte. Einen Tag vor unserem ersten Treffen hatte ich ein, na ja, arrangiertes Rendezvous mit Valerio de la Katz. Der ist oberste Liga und meine Menschen haben ihn extra für mich ausgesucht. Und ich dachte, jetzt bin ich auf der sicheren Seite und es kann nichts mehr passieren. Aber da lag ich leider falsch. Und jetzt haben wir das Malheur." Eglantine und Cyril betrachteten den kleinen Kater schweigend. Der hatte sich, wo er gerade stand, hingelegt, zusammengerollt und war eingeschlafen. „Wir?" rutschte es Cyril heraus und er verstummte, als er Eglantines Blick auffing. „Ja, wir. Bei mir kann er nämlich nicht mehr bleiben. Bis jetzt konnte ich ihn irgendwie zwischen den anderen verstecken, aber er ist schon so groß und unternehmungslustig. Außerdem fällt es langsam auf, dass er anders aussieht. Polly ist zum Glück blind für solche Sachen, aber ihren Eltern fällt es bestimmt auf, wenn sie aus dem Urlaub wiederkommen. Es ist nur den Nachwirkungen des Einbruchs zu verdanken, dass sie bis jetzt noch nichts bemerkt haben. Frauchen steht immer noch völlig neben sich. Deshalb sind sie jetzt auch weggefahren. Sie hat es nicht mehr ausgehalten - die Nerven." Eglantine machte eine kurze Pause. Es war ihr anzusehen, dass sie sich schwer mit dem tat, was sie nun sagen wollte. „Letztes Jahr waren wir auf einer Ausstellung in Oxford. Da hat mir meine Käfignachbarin, der dasselbe passiert ist, erzählt, dass man ihren gesamten Wurf ertränkt hat. Verdorbenes Blut haben die das genannt. Offiziell war’s ein Virus. Davor habe ich Angst. Versteh mich nicht falsch. Mir bedeuten meine Kinder alle gleich viel. Und ich möchte keinen gefährden. Behalte ich deinen Sohn bei mir, kann ich das nicht gewährleisten. Ich habe ja leider nur eingeschränkte Möglichkeiten, was das Verstecken angeht."

Cyril schwieg betroffen. Er wusste, dass es solche Menschen gab. Deshalb war er heilfroh und dankbar, dass weder seine noch die seiner Kinder zu jener Sorte gehörten. Er seufzte. „Gut, er kann hier bleiben, aber meine Menschen werden ihn vielleicht auch irgendwann entdecken. Darüber musst du dir im Klaren sein." „Zu denen habe ich Vertrauen." Plötzlich ruckte Eglantines Kopf in die Höhe und sie spitzte die Ohren. „Polly hat den Hörer aufgelegt, ich muß zurück!" Noch bevor Cyril etwas erwidern konnte, war sie verschwunden.

Was nun? Vor allen Dingen: wohin mit dem Kleinen? Der wachte gerade wieder auf und sah sich um. Dann blieb sein Blick an dem großen Kater hängen. Das Fellknäuel fauchte. „Laß das, du machst dich lächerlich!" erwiderte Cyril.

Das „wohin" war schnell geklärt. Da Sally im Internat war, stand ihr Zimmer leer. Die Tür war nur angelehnt, aber betreten wurde der Raum sehr selten.

Ein viel größeres Problem war es hingegen, den Neuzugang sicher an den Futtertrog bzw. zur Katzentoilette zu lotsen. Aber das Glück schien auf Cyrils Seite.

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