Die Katzengeschichte für Halloween:  

Samhain

 Teil 2

Auf einmal merkte Gisela, wie etwas Weiches ihre Hand berührte. Sie zuckte leicht zurück, doch das schwarz-weiße Kätzchen, dass sich, nach Streicheleinheiten heischend an ihre Hand schmiegte, ließ sich so schnell nicht verschrecken. "Na, wer bist du denn?", fragte Gisela und als würde die Katze sie verstehen, intensivierte sie ihre Auforderung zum Schmusen. Sie strich wieder und wieder mit ihrem Kopf an Giselas Hand und ihrem Arm entlang und diese konnte nicht widerstehen und begann, dem Tierchen seine angeforderten Streicheleinheiten zu verabreichen. "Du bist aber ein hübsches Tier und so zutraulich!"

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Als sie merkte, dass ihre Beine langsam einschliefen, erhob sie sich. "So, nun ist’s auch genug!", erklärte sie der Katze. Außerdem merkte sie, dass sie langsam anfing zu frieren. Die Sonne hatte ihren Winkel verändert und versteckte sich nun hinter einer mächtigen Platane, deren Restlaub ausreichte, um einen Schatten auf Rudis Grab zu werfen. "Ich komme bald wieder, mach es gut", verabschiedete sich Gisela von ihrem Mann und ging langsam in Richtung Ausgang.

Auf halbem Weg merkte sie, dass hinter ihr etwas im Laub raschelte. Sie drehte sich um und sah, dass die Katze ihr folgte. "Na, willst du mich noch ein Stück begleiten, das ist aber lieb!" Genau das schien das Tierchen im Sinn zu haben, denn es wich nicht von Giselas Seite, bis diese an der Friedhofspforte angekommen war. "So, nun musst du aber nach Hause gehen, denn das werde ich jetzt auch tun!", erklärte sie dem Kätzchen und streichelte ihm noch einmal über den weichen Kopf.

Dann versuchte sie das Tierchen einfach stehen zu lassen, doch das ließ es sich nicht bieten. Mit einem fordernden Maunzen folgte es weiterhin Gisela auf Schritt und Tritt. Diese versuchte verzweifelt sich daran zu erinnern, was in so einem Fall zu tun war, doch ihre Erfahrungen mit Katzen waren gleich null. Das einzige, an das sie sich in Bezug auf Tiere erinnerte waren Gesten, die man für die Hundeerziehung benutzte, diese scheiterten an ihrem schwarz-weißen Verfolger jedoch kläglich.

Was nun? Gisela fügte sich in das Unvermeidliche und schloss, mittlerweile an ihrem Häuschen angekommen, die Tür auf, um ihren hartnäckigen Verfolger hineinzulassen. Dieser begann auch sofort, die Wohnung zu erkunden, während Gisela das machte, was sie immer tat, wenn sie ein wie auch immer geartetes Problem hatte: Sie schnappte sich ihr Telefon und wählte die Nummer ihrer langjährigen Freundin.

"Hallo Gisela, geht’s Dir gut?", meldete sich diese. "Woher weißt du, dass ich es bin?", lautete die prompte Antwort. "Ich habe mir so ein neumodisches Telefon angeschafft, das zeigt mir die Nummer des Anrufenden an!" Gisela war ernsthaft verwundert, war doch Ute immer eine Verfechterin ihres alten Wählscheibentelefons gewesen. Ute merkte das Zögern ihrer Freundin und erklärte ihr lachend: "Keine Angst, ich bin immer noch dieselbe. Mein alter Kasten hat heute Morgen den Geist aufgegeben und da musste ich mir ein neues Telefon zulegen, ob ich wollte oder nicht!" "Da bin ich aber beruhigt, denn von der alten Ute weiß ich, dass sie mir weiterhelfen kann...." Gisela erklärte Ute ihr zugelaufenes Problem und ihre praktische Freundin wusste sofort Hilfe.

Kaum hatte sie den Hörer wieder aufgelegt, schob sie sich schnell einen Happen Brot als provisorisches Mittagessen in den Mund und begann dann, Utes Ratschläge in die Tat umzusetzen. Sie verfrachtete zunächst einmal das Kätzchen in einen alten Picknickkorb, der sich noch im Keller gefunden hatte, band diesen gut zu und fuhr zum Tierarzt. Einerseits hatte sich Gisela nie an ein Tier binden wollen, auf der kurzen Strecke zur Praxis hoffte sie jedoch insgeheim, der Tierarzt möge feststellen, dass das kleine Kerlchen keinen eingetragenen Besitzer hatte und sie es behalten könne.

Ihr heimlicher Wunsch trat tatsächlich ein und zwei Stunden später traf sie mit einem frisch geimpften kleinen Kater, den sie spontan auf den Namen Max getauft hatte, und einem ganzen Kofferraum voller Katzenzubehör wieder zu Hause ein.

Der Rest des Tages verging schnell, denn schließlich sollten sowohl Schlafdecke als auch Kratzbaum und Katzenklo einen Platz finden, der beiden - Max und Gisela - gefiel. Max bewies dabei einen erstaunlichen Dickkopf, kratzte er doch so lange an seiner Decke, bis Gisela sie vom Wohn- ins Schlafzimmer trug und auch der Futternapf wurde so lange hin- und hergeschoben, bis er von Giselas Lieblingsplatz in der Küche direkt zu sehen war. Der Platz des großen Kratzbaumes mit Blick auf den kleinen Garten schien hingegen von vornherein genehm zu sein und wurde mit einem zufriedenen Schnurren begrüßt.

Als Gisela schließlich auf die Uhr blickte, wunderte sie nicht mehr, dass ihr Magen knurrte. Sie beschloss, endlich einmal wieder bei einem Lieferservice zu bestellen. Zu Rudis Lebzeiten hatten sie es sich häufig mit einer Pizza oder einem chinesischen Gericht auf dem Sofa gemütlich gemacht, alleine war Gisela die Lust daran jedoch vergangen.

Als es bereits zehn Minuten später an der Tür klingelte, wunderte sich Gisela dann doch sehr. Das konnte unmöglich ihre Pizza sein! Trotzdem ging sie in Erwartung eines Pizza-Boten zur Tür und wurde so von dem fröhlichen englischsprachigen Spruch, der ihr vierstimmig entgegenschallte, komplett überrumpelt. Richtig, es war ja Halloween!

Sie hatte zwar kein Wort verstanden, aber die erwartungsfrohen Kindergesichter und die aufgehaltenen Taschen sprachen eine deutliche Sprache. Schnell lief sie in die Küche, griff nach der Tüte mit den Süßigkeiten, die sie am Tag zuvor erstanden hatte, und steckte jedem Kind spontan gleich zwei Figuren in die Tasche. Die Kleinen bedankten sich artig und verschwanden in Richtung Nachbarhaus. Gisela blickte ihnen noch einen Moment lächelnd hinterher.

Eine halbe Stunde später saß sie mit ihrem Pizzakarton auf dem Tisch vor sich im Wohnzimmer und beobachtete ihren neuen Hausgenossen. Der hatte sich bereits bestens eingelebt und tobte, einem Spielzeug hinterherjagend, über den Teppichboden. Max schien entgegen Utes Warnung überhaupt keine Probleme mit der neuen Umgebung zu haben, vielmehr benahm er sich, als habe er nie irgendwo anders gelebt.

‘Samhain, die Nacht, in der der Schleier zwischen den Welten dünn ist’, durchzuckte sie ein Gedanke. Hatte etwa..? Nein, das war unmöglich, oder? Und trotzdem, Max war genau in dem Moment an Rudis Grab aufgetaucht, als sie Trost am nötigsten hatte.

Tränen stiegen ihr in die Augen und sie legte das letzte Stück Pizza zurück in den Karton. "Hat Rudi dich zu mir geschickt?", flüsterte sie. Max unterbrach sofort sein Spiel, ließ sein Spielzeug achtlos liegen und kam zielstrebig auf Gisela zu. Er sprang neben ihr auf die Couch, von wo aus er sie mit wachen Augen ansah.

Auf einmal hatte Gisela das Gefühl, ihrem verstorbenen Mann ganz nahe zu sein, als fühle sie ein letztes Mal seine Umarmung. Fast war es, als könne sie sogar seine Stimme hören, die ihr zuraunte, sie müsse von nun ab an in die Zukunft sehen. Es lägen noch viele Jahre vor ihr und es bringe nichts, diese mit trübsinnigen Gedanken zu verschwenden.

Dann war der Moment vorüber und Gisela kehrte in die Realität zurück. Max hatte sich in ihren Arm gekuschelt und stieß sie ganz leicht mit der Nase an. Erst begann sie ihm noch etwas abwesend über den Kopf zu streicheln, dann jedoch, als wäre es ihm bewusst, dass er nun wieder Giselas volle Aufmerksamkeit hatte, schien es schelmisch in Max’ Augen aufzublitzen. Er sprang kraftvoll aus Giselas Arm ab, landete auf dem Tisch und schnappte sich das übrig gebliebene Stück Pizza.

"Hey, du Racker!", rief Gisela und nahm die Verfolgung auf. In der Küche gelang es ihr schließlich, den kleinen Flüchtigen zu stellen, denn immerhin hatte er seine Beute ordentlich zu seinem Napf getragen. Gisela entriss sie ihm, denn selbst sie brauchte keine Ute um ihr zu raten, dass Peperoni-Pizza kein geeignetes Futter für kleine Kater war. Nachdem sie den Pizza-Rest sicher im Mülleimer verstaut und Max stattdessen mit ein paar Katzen-Drops gefüttert hatte, nahm sie ihren Schützling hoch und trug ihn zurück ins Wohnzimmer. ‘Eine derartige Schelmerei hätte Rudi gefallen‘, dachte sie und konnte sich lebhaft an sein Lachen erinnern. Und zum ersten Mal stimmte sie die Erinnerung nicht traurig sondern ließ sie lächeln.

Sie setzte Max auf dem Teppich ab, kuschelte sich selbst unter eine Wolldecke und schaltete den Fernseher ein. Sie gähnte herzhaft. Es war wirklich ein ereignisreicher Tag gewesen und vor allem musste sie zugeben, dass es ihr so gut wie lange nicht mehr ging. Sie dachte noch einmal an ihr merkwürdiges Erlebnis von vorhin zurück und kam zu dem Schluss, dass es ihr egal war, ob sie es sich nur eingebildet hatte oder nicht. ‘Ute werde ich jedenfalls nichts davon erzählen’, dachte sie und zum wiederholten Male an diesem Tag musste sie lächeln, ‘die mit ihrem Hang zum Übersinnlichen würde meinem kleinen Max wahrscheinlich noch unterstellen, er sei eine Reinkarnation von Rudi!’

Gisela wurde langsam immer schläfriger und sie überließ sich der Behaglichkeit ihres Sofas. Das Letzte, dass sie vor dem Einschlafen noch wahrnahm, war Max, der sich in die Beuge zwischen ihrem Bauch und ihren Knien schmiegte.

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Ende

copyright: Britta Martens 2006

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