Die Kurzgeschichte zum 1. Advent

 

Der Katzenflur

Teil2

Nachdem der Rest des Abends friedlich verlaufen war, wurde Elsa am nächsten Morgen unsanft aus dem Schlaf gerissen. Was war das nur für ein scheußlich lautes Knallen gewesen? Elsa stand auf und warf einen vorsichtigen Blick aus ihrer Schlafzimmertür. Offensichtlich hatte Minka ihren Sekretärschrank entdeckt und war bei einer ausführlichen Begutachtung desselben an den Mechanismus zum Öffnen der Schreibklappe geraten. Gerade schien auch Minka sich von dem Geräusch, dass die herunterkrachende Platte verursacht hatte, erholt zu haben, denn sie wagte sich bereits wieder an das Objekt ihrer Neugier heran!

Das Möbelstück schien jedoch durch den Umzug etwas aus dem Gleichgewicht geraten zu sein, denn kaum hatte sich Minka auf die Schreibplatte gewagt, kippte dieses schräg nach vorne ab und entledigte sich so ihrer Last. Elsa nahm mit Staunen wahr, wie Minka trotz verzweifelter Ruderbewegungen den Halt verlor, ins Rutschen kam und unter lautem Miauen in einem Karton mit Styroporkügelchen, der noch vom Umzug herrührte, landete.

Kaum gelandet schoss die Katze wie ein Schachtelmännchen wieder aus dem Karton heraus. Elsa konnte gerade noch erkennen, wie ein grauer, extrem gesträubter Fellball unter dem Sofa verschwand, bevor sie in herzliches Lachen ausbrach.

Abends hatte sich Minka von ihrem Schrecken wieder erholt, nur der Sekretärschrank wurde jedes Mal, wenn sie in dessen Nähe kam, argwöhnisch beäugt. Auch diesmal, stellte Elsa mit einem Lächeln fest, schien Minka zu überlegen, ob der Schrank sie anfallen würde und beschleunigte leicht ihren Schritt, bis sie außerhalb der Reichweite des Schrankungeheuers war. Zu Elsas Erstaunen steuerte sie danach jedoch zielsicher das Sofa an, sprang mit einem eleganten Satz hinauf und stupste leicht Elsas Hand an. "Oh, du kommst freiwillig zu mir und möchtest gestreichelt werden? Das ist aber nett!" sprach Elsa ihre kleine Mitbewohnerin sanft an und kam deren Wunsch nach. "Kein Wunder, dass du Minka heißt," stellte Elsa fest, nachdem sie mehrmals über das seidige Fell gestrichen hatte. "Mink heißt schließlich Nerz und ich glaube, auch ein Nerz ist nicht weicher als du!"

Auf diese Weise gewöhnten sich Elsa und Minka schnell aneinander und so gefiel es Elsa eigentlich gar nicht, als gute zwei Wochen später ein netter älterer Herr an ihrer Tür klingelte und sich als Herr Burger vorstellte. "Oh, dann möchten Sie bestimmt ihre Minka wieder abholen...?", fragte Elsa, während sie fieberhaft überlegte, wie sie den Abschied von ihrer kleinen Hausgenossin noch ein wenig verzögern konnte. "Darf ich Sie vielleicht auf einen Kaffee hereinbitten?", war das Einzige, das ihr spontan einfiel. "Aber gerne!", nahm Herr Burger die Einladung an. Elsa kochte Kaffee und bei einem spontan georderten Stück Kuchen zeigte Elsa ihrem Gast, was Minka in den zwei Wochen gelernt hatte. Elsa hatte nämlich nicht widerstehen können, einen Leckerli-Ball zu erstehen und Minka war bereits erstaunlich geschickt darin, den Ball so hin- und herzurollen, dass ihr die darin verborgenen Trockenfutterstückchen vor die Schnauze fielen. Herr Burger beobachtete das Schauspiel, drehte sich dann zu Elsa um und sagte: "Ach wissen sie, liebe Frau Tietjen, da sie beide sich so gut verstehen, habe ich eigentlich keine Skrupel sie darum zu bitten, Minka noch ein wenig länger zu behalten. So ein Krankenhausaufenthalt schwächt doch ein wenig und mir täten ein paar weitere Tage völliger Ruhe sicher gut." Elsa strahlte ihn an und versicherte Herrn Burger, dass es wirklich kein Problem sei, seiner Bitte nachzukommen. Erst später, nachdem sich ihr Besuch wieder verabschiedet hatte, fiel Elsa auf, dass Herr Burger eigentlich alles andere als ruhebedürftig aussah. Vielmehr wirkte er blendend erholt. Sie beschloss jedoch, nicht weiter darüber nachzudenken und stattdessen die ihr verbliebene Zeit mit Minka bestmöglich zu nutzen.

Am nächsten Nachmittag klingelte es erneut an ihrer Tür. Diesmal war es Frau Gruber. "Guten Tag Frau Tietjen", sagte diese, "ich wollte sie nur fragen, ob sie nicht Lust haben, in den Wintergarten zu kommen. Ich sitze dort mit zwei Freunden beim Adventskaffee und da dachte ich, vielleicht ist ihnen ja auch nach einem guten Kaffee und einem Stück Marzipanstollen?" Stimmt, heute war ja bereits der erste Advent! "Einen Moment, ich komme gerne, ich möchte mich nur kurz frisch machen!" Elsa kontrollierte schnell, ob es Minka an nichts fehlte, zog sich andere Schuhe an und machte sich auf den Weg in den Wintergarten.

An einem der großen Tische entdeckte sie Frau Gruber zusammen mit Herrn Burger und einem weiteren Herren, dessen Namen sie zwar nicht kannte, den sie aber ebenfalls dem Katzenflur zuordnen konnte. Alle drei blickten sie schelmisch an. "Was schauen sie denn so?", fragte Elsa, der das Verhalten der drei Flurbewohner seltsam vorkam. "Und Herr Burger, was machen sie denn hier? Ich dachte sie brauchen noch Ruhe?", fügte sie hinzu.

"Setzen sie sich doch erst einmal hin." Frau Gruber klopfte einladend auf den Stuhl neben sich. "Ich glaube, wir müssen ihnen da etwas erklären!", ergänzte Herr Gruber.

"Zunächst einmal machen sie sich keine Sorgen. Ich brauche keine Ruhe. Ich war auch gar nicht im Krankenhaus, sondern im Ferienhaus meines Sohnes auf Sylt." "Aber wieso...", wollte Elsa fragen, wurde jedoch von Frau Gruber unterbrochen. "Wir wollten sie nicht hintergehen, aber wir wussten von ihrer Tochter, dass sie von der Katzenfluridee noch nicht überzeugt waren und außerdem eher kontaktscheu sind. Na, ja, und da wir hier alle zusammenhalten, haben wir uns diese Geschichte ausgedacht!"

"Dann hat Katja.... Und was ist mit Minka?", fragte sie plötzlich alarmiert. Diesmal war es Herr Burger, der sprach: "Minka gehört ihnen, wenn sie mögen. Wir haben sie extra für sie aus dem Tierheim geholt, in der Hoffnung, dass sie zu ihnen passen würde. Ansonsten hätte sich mein Franzerl mit ihr abfinden müssen, und das nachdem er nun schon das Ferienhaus hat überstehen müssen!" Elsa blickt in die drei freundlichen Gesichter und fand kaum Worte. "Aber die ganzen Sachen waren doch nicht billig, ich meine... Warum haben sie... Sie sind so freundlich.... Kann ich Minka nun wirklich behalten?" stotterte sie. "Aber natürlich. Sie passen so gut zusammen und wir wünschen ihnen ganz viel Freude mit der Kleinen."

"Und zu der Frage nach dem Warum", schaltete sich nun der Elsa noch unbekannte Herr ein, "ganz uneigennützig waren wir da nicht. Ihre Tochter hat uns erzählt, dass sie eine leidenschaftliche Doppelkopf-Spielerin sind und wir warten schon so lange auf einen vierten Mann - Entschuldigung - eine vierte Frau. Also, wie wär’s mit einer Partie?"

Während er sprach, hatte er ein Doppelkopfblatt aus der Westentasche gezogen und legte dieses nun fröhlich grinsend auf den Tisch. Elsa war baff und natürlich nahm sie die Spielherausforderung gerne an. Frau Gruber schenkte noch einmal Kaffee nach und schon bald war in der hinteren Ecke des Wintergartens am Ende des Katzenflures nur noch ein fröhliches ‘Re’, ‘Kontra’, ‘keine Neun’ zu hören.

Ende

© Britta Martens 2006

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