Die Kurzgeschichte zum 3. Advent

Weihnachtsboykott

Teil 2

Herrchens Mutter traf Samstagmorgen ein. Ich war gespannt, sogar etwas ängstlich, was passieren würde, wenn sie mich entdeckte und hielt es für angebracht, fürs erste unsichtbar zu bleiben. Mit der Effizienz eines Tornados der Stufe 4 fegte sie über die gesamte Familie hinweg und ließ nervliche Ruinen zurück.

Zuerst begutachtete sie die Sachen, die Junior bekommen sollte, und schickte Herrchen, der Angst vor großen Menschenansammlungen hatte, in die Stadt, um alles in altersgerechtere, medienfreie Geschenke umzutauschen. An einem Adventssamstag...

Was, und Frauchen hatte keine Gans gekauft? Der darauffolgende kritische Blick erschütterte Frauchens Kochselbstvertrauen bis in die Grundmauern und es gab angebranntes Rührei zum Mittagessen. Herrchen seufzte und verdrückte sich gleich nach dem brikettähnlichen Dessert in seine Stammkneipe zum Fußballgucken. Und Frauchen schleppte sich mit letzter Kraft in den Supermarkt, um eine Gans zu kaufen. Beim Gerangel an der Gefriertruhe entglitt ihr das eiskalte Federvieh und sie kam humpelnd zuhause an.

Das Abendessen verlief in eisiger Stille, denn Herrchen war zu spät und leicht angeheitert aus der Kneipe zurückgekommen. Das hatte ihm ein Rüffel seiner Mutter und einem von Frauchen gefauchtem „Verräter" eingebracht.

Nach ein paar halbherzigen Gesellschaftsspielversuchen, ging der Abend relativ schnell zuende. Ich saß auf der Treppe und widmete mich meiner Abendwäsche, als ich Schritte hörte. Ich huschte blindlings in Juniors Zimmer unters Bett. Erst dann fiel mir ein, dass er ins Elterschlafzimmer ausquartiert worden war und Herrchens Mutter hier schlafen würde. Zu spät. Da war sie schon und schloss die Tür. Ich saß in der Falle. Ich hörte das Knistern von Kleidung und ein Gesicht erschien über der Bettkante.

„Du brauchst dich gar nicht zu verstecken. Ich weiß, dass es hier eine Katze gibt. Ich habe dir Thunfisch mitgebracht. Biologischen. Ich wette, das bekommst du hier nicht."

Thunfisch? Im Ernst? Ich krabbelte unter dem Bett hervor. Und das war jetzt kein Trick? Um mich zum Beispiel im Nacken packen und an die frische Luft setzen zu können? Aber nein. Sie füllte den Fisch in eines von Frauchens Bleikristallschälchen und stellte ihn vor mich hin. Himmlisch! Diese Frau war gar nicht so übel.

„Katzen sind mir um einiges lieber als Menschen."

Ich blickte sie an und schnurrte: „Mir auch."

Derart kulinarisch und moralisch gestärkt, konnte ich meine Tätigkeiten als erklärter Weihnachtsboykotteur wieder aufnehmen. Die nächste große Chance ergab sich am Adventssonntag. Die Gans sollte gebraten werden. Bei der Zubereitung konnte ich nicht zum Zug kommen, aber als alle am Tisch saßen, schlüpfte ich unbemerkt in die Küche. Ich konnte gar nicht anders als meiner Nase folgen. Neben der Spüle stand ein Topf, groß wie ein Katzenswimmingpool, voll mit feinstem Gänsefett. Flüssigem. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein Bad genoss! Lecker duftend, schlitterte ich anschließend über den Küchenboden Richtung Tür. Gar nicht so einfach, mit einer dicken Fettschicht unter den Pfoten. Ich schaffte es und trottete mit hocherhobenen Schwanz in das Esszimmer.

Sie rochen mich bereits bevor sie mich sahen. Die bereits schleppende Konversation erstarb. Meine Familie blickte mit starren Gesichtern auf die Fettspur, die ich hinter mir her zog. Doch plötzlich durchbrach ein Geräusch die Stille: Herrchens Mutter lachte. Ihr ganzer Körper bebte und Tränen rannen ihr über die geröteten Wangen.

Nach dieser Aktion befanden sich Frauchen und Herrchen endgültig am Ende ihrer Kräfte und kamen zu dem Entschluss, dass ich doch nicht so pädagogisch wertvoll war. Herrchens Mutter erbot sich, mir ein neues Zuhause zu geben und ich ging freudig mit. Wir reisten bereits am nächsten Morgen ab. Und endlich war mir besinnlich zumute. In meiner Socke würde ich Weihnachten bestimmt mehr als nur Katzenminze finden.

Ende

© Kristina Rickmers 2006

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