Die Kurzgeschichte zu Weihnachten

Das Weihnachtschaos

Teil 1

Maren saß am Küchentisch und betrachtete zum wiederholten Male die Wunschliste ihrer achtjährigen Tochter Hilke. Die meisten Dinge waren bereits eingekauft. Eine neue Barbie, ein Sammelband Hanni & Nanni Geschichten und die frisch gepresste CD der gerade im Fernsehen gecasteten Girl-Band lagen ebenso bereits fein säuberlich eingepackt hinten im Kleiderschrank wie eine rote Teddyfell-Jacke und ein paar weitere Kleinigkeiten, mit denen Maren und ihr Mann ihre Tochter überraschen wollten.

Nur das Nachdenken über den größten Wunsch hatten sie ein ums andere Mal hinausgeschoben. Rein optisch war er gar nicht zu ignorieren, hatte sich Hilke doch alle Mühe gegeben, ihn besonders hervorzuheben. Direkt unter ‘Lieber Weihnachtsmann’ stand er (obwohl Hilke irgendwann herausgefunden hatte, wie es um den rotbemantelten Weißbart bestellt war, eröffnete sie weiterhin ihre Wunschzettel mit diesen Worten): ‘Ich hab zwar noch ein par andre Wünsche, die stehn aber weiter unten. Am wichtigsten ist mir aber, dass ich nicht mehr allein spilen muss. Desshalb ist mein größter Wunsch dieses Jahr, dass Du mir ein kleines Kätzchen bringst. Die Farbe ist mir egal, nur kuschellig muss es sein!’.

Maren musste erneut über die kleinen Schreibfehler ihrer Tochter schmunzeln. Die mangelnde Sorgfalt in Bezug auf die Rechtschreibung hatte Hilke jedoch durch künstlerischen Einsatz locker wieder wettgemacht. In dem ganzen Absatz war jedes Wort mit einem anderen bunten Filzstift geschrieben und um das Wort ‘Kätzchen’ wand sich zusätzlich noch eine Ranke aus einer Vielzahl von rosa Herzchen.

Immer noch versunken in den Anblick des bunten Kunstwerkes fand sie wenig später ihr Mann Günther, der heute ein wenig früher als üblich aus dem Büro gekommen war. "Na, mein Schatz, was schaust du denn so grüblerisch?", begrüßte er sie und gab ihr einen zärtlichen Kuss. Maren legte den Wunschzettel auf den Tisch und strich ihn gedankenverloren mit der Hand glatt. "In fünf Tagen ist Weihnachten und wir haben noch immer keine Entscheidung über die Kätzchenfrage getroffen", murmelte sie. "Das stimmt leider", erwiderte Günther und setzte sich zu seiner Frau.

Kaum dass sein Hintern jedoch den Stuhl berührt hatte, sprang er schon wieder auf und lief aus der Küche. Maren blickte ihm erstaunt hinterher und folgte ihm dann. Sie fand ihn im Arbeitszimmer, wo er sich durch eine Schublade voller Papiere wühlte. "Da ist sie ja!", rief er kurz darauf triumphierend und zog ein zweiseitiges Dokument aus dem Stapel, das er sofort eifrig zu studieren begann. Maren blickte ihm über die Schulter und sah, dass es sich um die Hausordnung handelte.

"Hier steht nichts davon, dass Katzenhaltung verboten sei" resümierte er. "Das sehe ich auch so", bekräftigte Maren, "der einzige Paragraph, in dem überhaupt Tiere erwähnt werden, ist derjenige, in dem es um Lärm geht." Günthers Finger fuhren die Zeilen entlang. "Wegen des erhöhten Lärmaufkommens ist von der Hundehaltung abzusehen", zitierte er. Die beiden sahen sich an. "Na, dann muss wenigstens keiner mit Frau Marx sprechen!", sagte Maren erleichtert.

Frau Marx war die Frau, die in der unteren Wohnung des Zweifamilien-Stadthauses wohnte, eine Frau um die sechzig und mit jedem Zoll eine Dame. Eigentlich wusste keiner so recht, ob sie nun unfreundlich war oder nicht, da sie keiner richtig kannte. Ihre unnahbare Art und der durchdringende Blick, mit dem sie einen mustern konnte, bewirkten aber, dass selbst Erwachsene - im Gegensatz zu Kindern zwar mit einem gemurmelten Anstandsgruß auf den Lippen - schnell an ihr vorbeihuschten und hinterher das Gefühl hatten, der bösen Hexe aus dem Märchen gerade noch entronnen zu sein. Sowohl Günther als auch Maren waren daher wirklich froh, dass die Hausordnung keine Abstimmung der Bewohner untereinander in Bezug auf Katzenhaltung vorsah. In dieser Hinsicht schon mal beruhigt machten sie sich auf den Weg zum Weihnachtsmarkt, den sie mit ihrer Tochter und deren besten Freundin besuchen wollten.

Am nächsten Abend waren sie dementsprechend der Lösung der Kätzchenfrage noch keinen Schritt nähergekommen. Maren hatte gerade Hilke Gute Nacht gesagt und kam zu ihrem Mann ins Wohnzimmer. Entnervt fiel ihr Blick auf den Fernseher, in dem offensichtlich übertragen wurde, wie 22 erwachsene Männer versuchten einen Ball in das gegnerische Tor zu befördern ohne dabei die Hände zu benutzen. "Günther, muss das denn sein?", fragte sie ihren Mann. "Aber Schatz, das ist doch das letzte Pokalspiel vor der Winterpause...", Günther sah seine Frau treuherzig an. Maren seufzte leise, beschloss jedoch, ihrem Mann die Freude zu lassen und sich alleine an die Erstellung einer Pro- und Contra-Liste zu machen.

Auf der Contra-Seite landeten Argumente wie ‘Katzen können Allergien auslösen’ (keiner aus der Familie hatte jedoch auch nur irgendeine), ‘Katzen machen Unordnung’ (keiner aus der Familie war ein ausgesprochener Ordnungsfanatiker) oder ‘wer kümmert sich um die Katze, wenn Urlaub ansteht?’ (Marens beste Freundin hatte selbst schon vier Katzen und liebte darüber hinaus Tiere aller Art). Die Pro- Seite hingegen füllte sich mit Sätzen wie ‘Katzen sind selbstständig und doch anschmiegsam’, ‘Katzen geben einem das Gefühl von Geborgenheit’ ‘Katzen sind interessante Persönlichkeiten’ und nicht zu vergessen ‘Hilke wünscht es sich so’.

In der Halbzeitpause kam Günther auf dem Weg zum Kühlschrank, wo Nachschub an Nervennahrung wie Schokolade oder Mini-Würstchen lagerten, an Maren vorbei und blickte ihr über die Schulter. "Ist das dein Ergebnis?", fragte er. Maren nickte. Günther überlegte kurz und deutete dann auf das letzte, dick unterstrichene Pro- Argument. "Ich denke, das sollte am meisten zählen. Wir würden ihr so eine große Freude machen." "Du meinst also, wir sollten das Abenteuer wagen?" Marens Augen begannen bereits zu leuchten, denn je mehr sie sich in der vergangenen Dreiviertelstunde mit dem Thema beschäftigt hatte, desto mehr reizte sie der Gedanke an einen schnurrenden Hausgenossen. "Ja, das denke ich. Und wenn du auch dafür bist, werde ich mich auch persönlich darum kümmern. Du hattest schon genug Arbeit mit den Geschenken!" Maren sprang auf und fiel ihrem Mann um den Hals. "Na dann mal los!", stimmte sie begeistert dem Vorschlag zu.

Im Laufe der nächsten Tage wanderten heimlich alle nötigen Utensilien ins Haus. Nur bezogen auf das Kätzchen an sich blieb Günther sehr geheimnisvoll. Selbst auf direkt gestellte Fragen antwortete er nur ausweichend. Dies änderte sich nicht einmal am Morgen des 24. Dezember und Maren wurde langsam nervös. Immerhin schien Hilke jedoch nichts von der ganzen Heimlichtuerei zu merken, viel zu beschäftigt war sie mit ihrer eigenen Vorfreude auf den Heiligen Abend.

Das Wohnzimmer wurde bereits am Vormittag abgeschlossen und gegen vier Uhr war auch der Baum festlich geschmückt. Maren wunderte sich, war doch die traditionelle Bescherungszeit um halb sechs Uhr abends und normalerweise reichte das gerade, um den Baum in der letzten Sekunde fertig zu stellen. Bevor sie jedoch Günther dazu befragen konnte, sah sie mit immer größer werdendem Erstaunen, wie sich dieser seelenruhig die Stiefel und seine Jacke anzog und sich anschickte, das Haus zu verlassen. "Was machst du da?", fragte sie entgeistert. "Ich muss noch mal schnell ins Büro, ich glaube, ich habe vergessen, ein wichtiges Fax zu versenden", antwortete er. "Das kann doch nicht dein Ernst sein!?", rief Maren aufgebracht und dachte gerade noch rechtzeitig daran, die Stimme wieder zu senken. "Und was ist mit dem Kätzchen?", fragte sie leiser aber nicht weniger eindringlich. "Das schaff ich auch noch", antwortete Günther seelenruhig und verließ das Haus.

 

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