Katzen Kurzgeschichte für den Juni 2007

Hamburgs Kater

Teil 1

Candor II. schlich leise um die Hausecke. Er blickte sich nervös um. Die Luft schien rein zu sein.

Schnell lief er an der Häuserzeile entlang. Nur noch wenige Meter und er würde den nahen Park erreicht haben. Auf einmal fiel ihn etwas von schräg oben rechts an und Candor stürzte hart auf die Seite. Er befürchtete das Schlimmste. Gleich müsste er merken, wie sein Körper sich in einem unerbittlichen Netz verfangen und er vollkommen bewegungsunfähig werden würde. Er wartete und wartete ... und merkte, dass nichts dergleichen geschah. Er bewegte versuchsweise die rechte Pfote und blinzelte vorsichtig.

Ein bulliger gelb-getigerter Kopf erschien direkt vor seinen Augen und schien ihn böse anzugrinsen. Noch etwas benommen sah Candor eine riesige Pfote auf ihn zukommen und rechnete schon mit dem Schlimmsten. "Zum Donnerkater, du bist ja schreckhaft geworden alter Freund!" sprach der gelbe Kater und Candor realisierte, dass er keinem Feind, sondern einem langjährigen Weggefährten gegenüberstand, der ihm gerade kräftig, aber nicht unherzlich auf die Schulter klopfte.

Candor atmete tief durch. "Icepaw", begrüßte er den anderen, "und ich dachte schon, mein letztes Stündlein - zumindest in Freiheit - hätte geschlagen!" Sofort wurde sein gegenüber ernst. "Gibt’s Probleme im Viertel?" "Das kannst du laut sagen! Letzten Monat hat ein neuer Katzenfänger angefangen. Golda und Sultan V. hat’s schon erwischt. "Das ist ja richtig übel, da muss sich was ändern", erklärte Icepaw entschieden. "Lass uns erst mal von hier verschwinden, ich weiß einen sicheren Platz!"

*

Endlich hatte Rodney Feierabend. Nach einem langen Arbeitstag freute er sich auf seine allabendliche Zeitungslektüre. Als seine Frau nach Hause kam, hatte er sich bereits über die neuesten Nachrichten aus Politik und Sport informiert und widmete sich dem Lokalteil. "Hör dir das mal an", sagte er wenig später zu seiner Frau und begann eine Nachricht vorzulesen, die unter der Rubrik ‘Kurzmeldungen’ erschienen war:

Tierfänger auf Erfolgskurs

Seit der Privatisierung der Tierfängerei Hamburg im letzten Monat hat sich die Zahl der gefangenen Tiere bereits verdreifacht. Gerade die Spezialisierung auf Katzen bzw. Hunde sei der Schlüssel zum Erfolg gewesen, so der Vorsitzende des ‘Verbands für saubere Straßen‘. Man könne so besonders den Katzen besser zu Leibe rücken.

Als problematisch ist hingegen mittlerweile die Situation in den Tierheimen anzusehen, denn diese sind zu großen Teilen bereits jetzt überfüllt. "Wir hoffen, dass die Bürger sich vermehrt für eine Katze oder einen Hund aus dem Tierheim entscheiden!", so der Aufruf der Leiterin des Tierheims Sonnenschein.

"Vielleicht sollten wir uns auch ein Haustier zulegen!", fügte Rodney seinem Vortrag hinzu. Seine Frau sah ihn ein wenig skeptisch, jedoch nicht ablehnend an. "Wir können ja mal darüber nachdenken", sagte sie sanft und küsste ihn auf die Wange, "aber nun lass uns erst mal Abendessen machen!"

*

"Ich muss von der Straße weg, sonst dreh ich noch durch", erklärte Candor II. und streckte sich. Icepaw hatte ihn in einen Teil des Parks geführt, der im 19. Jahrhundert ein Friedhof gewesen war. Candor hatte diese Gegend immer so gut es ging gemieden. Zwar sollte es Katzen geben, die diesen Ort für besonders romantisch hielten, er selbst hatte allerdings sein Unbehagen gegenüber Friedhöfen nie überwinden können.

Im Moment war er jedoch einfach nur froh, an einem Ort zu sein, der ihm Sicherheit vor dem Katzenfänger bot, auch wenn es sich dabei um einen Unterschlupf im Hinteren eines ausladenden Grabmonumentes handelte. Icepaw blickte ihn an. "Oder du schließt dich endlich unserer Bande an", schlug er Candor vor. "Nein, das ist nichts für mich. Ich weiß, was du sagen willst." Mit einer abwinkenden Pfotengeste kam er seinem alten Freund zuvor. "Du hast mir die Vorteile oft genug aufgezählt: eine starke Gemeinschaft, deren Mitglieder sich nie im Stich lassen, immer genug zu essen und trotzdem frei sein und nicht zu vergessen, immer die hübschesten Bräute. Aber ich meine es ernst, ich will weg von der Straße."

Icepaw sah ihn ungläubig an. "Du willst das wirklich, oder, Kumpel?" "Absolut." "Weißt du denn, was du dir da wünschst? Menschen, die dir ihren Willen aufzwingen wollen? Menschen, die entscheiden, was du wann essen sollst? Menschen, die dir alberne Namen geben?" Candor grinste. "Na, ja, manches davon klingt vielleicht nicht so spannend, aber du vergisst, dass Menschen dir im Winter einen warmen Schlafplatz geben, selbst im heißesten Sommer noch unverdorbenes Futter herbeizaubern und deine Pfoten verbinden, wenn du sie dir wundgelaufen hast."

Beide Kater schwiegen eine Zeitlang. Für einen Außenstehenden mag es so ausgesehen haben, als dösten sie nur vor sich hin, in Wahrheit aber träumte Candor von einem ruhigen Leben in einem Menschenhaus, Icepaw hingegen überlegte fieberhaft, wie er seinem Freund helfen konnte. Endlich kam ihm eine Idee. "Ich glaube, ich kann da was arrangieren", sagte er. "Wirklich? Was denn?" "Ich kann noch nichts Endgültiges sagen und will dir auch keine falschen Hoffnungen machen. Wir treffen uns morgen zur gleichen Zeit wieder hier; und wenn alles gut geht, werde ich in Begleitung kommen." Icepaw erhob sich, drehte sich am Ausgang aber noch einmal um. "Du kannst das Versteck nutzen so lange du willst. Bis morgen dann!" "Ja, bis morgen", erwiderte Candor den Gruß, doch Icepaw war bereits in die Nacht entschwunden.

*

"Schatz bist du zu Hause?" "Ja, ich bin im Arbeitszimmer!", antwortete Rodney seiner Frau, die gerade nach Hause gekommen war. Sie trat hinter ihn und blickte ihm über die Schulter. "Eine Deutscharbeit", stellte sie fest. "Ja, aber mir reicht’s sowieso für heute, lass uns lieber was essen gehen!" "Eine schöne Idee! Wie gut, dass ich meinen Mantel noch gar nicht ausgezogen hab!"

Auf dem Weg zu ihrem Lieblingsinder hakte die junge Frau sich bei ihrem Mann an. "Ich hab noch mal über die Idee mit dem Haustier nachgedacht. Also, ein Hund kommt für uns eigentlich nicht in Frage. Wir sind beide beruflich zu eingebunden, als dass wir einem Hund die nötige Aufmerksamkeit schenken könnten, aber eine Katze - das ginge schon!" Rodney, der schon immer ein großes Herz für Tiere gehabt hatte, sah seine Frau begeistert an. "Da hast du recht. Eine Katze ist sehr selbstständig und kann sich gut auch mal alleine beschäftigen. Lass uns übermorgen doch mal im Tierheim vorbeischauen!" "Und dann bekommen wir vielleicht auch so ein Prachtexemplar!", antwortete seine Frau lachend und deutete auf einen großen gelb-getigerten Kater, der zielstrebig durch den Vorgarten, an dem die beiden gerade vorbeikamen, schlich.

*

Viel zu früh war Candor II. am verabredeten Ort angekommen. Nun tigerte er nervös durch das Grabmonument und wartete auf seinen Freund. Icepaw würde bestimmt etwas für ihn arrangieren können, oder etwa nicht? Schließlich war er der Anführer der einflussreichsten Katzenbande Hamburgs. Ihm würde bestimmt eine Lösung für ihn einfallen! Oder etwa doch nicht? Da, endlich hörte er etwas knacken! Hätte er nicht so gespannt gelauscht, wäre es ihm vermutlich entgangen, denn kaum einer konnte so lautlos umherschleichen wie der Bandenanführer.

Icepaw erschien in der Türöffnung des Monuments, dicht gefolgt von einem schwarzen Kater, dessen gepflegtes Fell nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass er einige Fettröllchen zu viel am Körper trug. "Candor," begrüßte Icepaw seinen Freund, "erinnerst du dich noch an Aurelius?" Candor betrachtete den anderen Kater. Er hatte einmal einen Aurelius gekannt, aber der war schlank und sein Fell struppig gewesen. Konnte das derselbe sein? Er blickte noch einmal genauer hin und erkannte einen winzigen weißen Fleck unter dem rechten Auge des Neuankömmlings. Erkennen blitzte in seinem Blick auf. "Klar," erwiderte er daraufhin und wandte sich dann direkt an Aurelius. "Nur hätte ich dich fast nicht wiedererkannt!" "Nein, das glaub ich gerne", sagte dieser, "ist ja auch schon eine Zeit her!" "Aurelius hat das geschafft, was du auch willst. Er lebt bei einer Menschenfamilie!", schaltete sich Icepaw in das Gespräch ein. "Und ich denke, er kann dir ein paar nützliche Tipps geben!" "Na sicher kann ich das!", bekräftigte Aurelius.

Die drei Kater machten es sich gemütlich und Aurelius nahm sich viel Zeit, seine Strategie zu erläutern und von seinem angenehmen Leben zu berichten. Irgendwann schreckte er jedoch aus seiner gemütlichen Position auf. "Ich glaube, es ist schon reichlich spät geworden. Mein Frauchen schätzt es gar nicht, wenn ich nachts zu lange umherstreife, also werde ich mich mal auf den Weg machen. Und denk dran", fuhr er speziell an Candor gewandt fort, "morgen am späten Nachmittag geht es los!" Der schwarze Kater wandte sich dem Ausgang zu. "Eine Frage hab ich noch", hielt Icepaw ihn zurück. "Wie nennen dich eigentlich deine Menschen?" Aurelius blickte sich um und verzog leicht das Gesicht. "Burschi", antwortete er grummelnd und verließ fluchtartig den Unterschlupf. Das brüllende Lachen der anderen beiden Kater verfolgte ihn jedoch noch bis weit über den Friedhof.

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